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Text by Kerstin Stakemeier

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Faserleben
Kerstin Stakemeier
Oberflächlichkeit gilt gemeinhin als wenig erstrebenswert. Sie wird beschuldigt Mangel an Tiefgang zu sein, an einem Interesse, das sich von der Hülle löst und sich dem zuwendet, was jenseits der Oberflächen liegt. Meist wird als oberflächlich beschimpft, was kein gelebtes Leben erahnen lässt, was dem Anschein nach keine Erfahrung zurückhält und seinem Gegenüber eine andere als bloß momentane Sensation zu verunmöglichen scheint. Doch immerhin ist die Oberfläche offen zugänglich, sichtbar, angreifbar und veränderlich, und nur wo ihr Gegenüber, die ominöse Tiefe, in der Oberfläche hervortritt, ist jene mehr als nur Mythologie einer unverfälschbaren Eigenheit. Als Eintrittspunkt mag daher die Oberflächlichkeit letztlich um einiges materieller sein als der uferlose Tiefgang.
In it
Gilles Deleuze beschrieb dieses Verhältnis in der „Logik des Sinns“ 1968 anhand desjenigen Vorhangs, der zum Bühnenaufbau klassischer Ideologiekritik gehörte, installiert einzig, um zur Seite gerissen zu werden, um in einem dramatischen Akt frei zu legen, was sich hinter ihm verberge. Deleuze hingegen näherte sich dem Vorhang an, untersuchte ihn, überprüfte, warum er dort hänge, so angefeindet und doch unbeachtet, und konstatierte schließlich, dass die Ideologie nicht hinter ihm im Verborgenen liege, sondern in seinen Fasern, in seiner Installation, seiner Beleuchtung, seiner Oberfläche, der man nur ganz nah und ganz weit folgen müsse, damit diese Vorderseite auf einmal selbst zur Rückseite werde, die Oberfläche sich zum Inhalt vertiefe, und ihre Betrachter_innen in sich verstricke.1
Harald Popps fotografische Arbeiten setzen sich fest an diesen Oberflächen der Dinge, an den Mikrologien der Vorhänge und führen ein in einen Blick, in dem der Vorhang an den Dingen klebt, die sich an ihn schmiegen, um in ihn überzugehen. Popp aktualisiert die Frage nach dem Verhältnis von Ideologie und Wahrheit, von Trugbild und Existenz, im seriellen Einzelfall der digitalen Bildwelt, die uns umgibt. Er wiederholt sie nicht, um sie bloß zu stellen, sondern nimmt sich ihrer Mechanismen an, um aus ihnen einen Blick aufzuspannen, in dem die Oberflächlichkeit das Maß aller Tiefe ist. Popp operiert in einer zweiten Natur, die sich aufs Bild-Sein zurückgezogen hat, und begegnet ihr doch ohne moralische Empörung, eher schon als Zoologe dessen, was sich heute als natürlich gebiert. Popps fotografischer Blick richtet sich dabei an der Digitalität unseres eigenen Blicks aus. Die Kulturalisierung, die unserem Leben eine Form gibt, ist keine nachträgliche Arbeit am authentischen Ich, sondern eine Zivilisierung, die selbst unumgänglicher Ausgangspunkt jeder Individualität ist. Die Natur, die uns im Bild begegnet, ist heute immer bereits digital, der Vorhang nach skalierten Farbspektren aus Pixeln gewebt und unser eigener Hautton schön oder unschön im Verhältnis zu seiner Abbildbarkeit. Und trotz all dem ist dies keine Aufzeichnung eines Verlustes, keine Trauerarbeit an einer eingebildeten Echtheit, sondern vielmehr die Trennung eines Mediums vom Vermittelten: Harald Popps Fotografien registrieren die Ablösung des digitalen Bildes vom Abgebildeten und entscheiden sich für das Bild. Es ist die Ähnlichkeit des Abgebildeten zum Bild, die Popp aufsucht und stetig verschärft.
So over
Popp arbeitet in den Fasern visueller Kulturalisierung und eröffnet dabei das Fotografische als körperloses Handwerk statt als vermittelnde Maschinerie. Die in der Kunst weiterhin fundamentale fotografische Suche nach der originären Authentizität des eigenen Mediums, die auch im Gegensatz zwischen analogem Lichteinfall und digitalem Schein stets auf die künstlerische Innovation pocht, löst Popp historisch statt kanonisch. Die Innovation des Digitalen ist technisch und geht der Kunst voraus. Gelebt und gegenwärtig ist so vor allem Anderen das Digitale, das der Kunst Lebensähnlichkeit verspricht. Es bestimmt den Alltag als Maßstab unserer Ansichten, während das Analoge ihm nachgeordnet einen Blick in die Erinnerung eröffnet. Popp folgt statt der künstlerischen Innovation der Lebensähnlichkeit seines Mediums und treibt sie ins Extrem: ein Leben aus Form und Farbe, eine fortgesetzte Palette.
Die analogen fotografischen Bilder sind schon 1980 bei Roland Barthes2, lange vor dem Erscheinen des Digitalen, eine Signatur des Todes, Erinnerungsbilder eines vergangenen Lebens. Die analoge Fotografie zeichnet sich durch ihren dokumentarischen3, archivarischen4, immer jedoch das Leben abschneidenden5 Charakter aus und markiert damit eine unverrückbare Ungleichzeitigkeit. Das Vergangene gewinnt ein Eigenleben, eine nachträgliche Authentizität, in der die Gegenwart sie wiedererkennt - Ihre Oberflächen, deren Lichtabdruck hier aufgezeichnet ist, gewinnen an Tiefe, eben dadurch, dass sie abgelebt sind. Die Fotograf_innen der Pictures-Generation6 begegneten diesem Phänomen mit Wiederholungen, ihre Re-Inszenierungen massenkultureller Idole und Alltäglichkeiten übertrugen das Auratische auf Banalitäten, weigerten sich in gewissem Sinne neue Bilder zu erzeugen, sondern begaben sich an die Ordnung der bereits so vielfältig kursierenden. Doch dieser Versuch, die Differenz zwischen künstlerischer Produktion und lebendiger Oberfläche zu überbrücken und der Kunst durch die Wiederholung massenkultureller Ansichten Gegenwärtigkeit zukommen zu lassen, richtete sich vor allem auf ihr Gegenüber: die Massenkultur. Sie wurde in diesen Werken ungleichzeitig, erschien als Wiederholungsschema, als ständiges Erinnerungsbild. Darin führten Künstler_innen wie Richard Prince7 genau diejenige Umkehrung ein, die bei Harald Popp in digitalisierter Form, als Gleichzeitigkeit, zurückkehrt: die Vorgängigkeit der kulturellen Prägung vor dem individuellen Leben, der Überhang der Massenkultur im Subjekt. Auch bei Prince tauchte dieser Zusammenhang nicht als moralische Verfehlung auf, als Trauer um vergangene Authentizitäten. Viel eher präsentierte er ein authentisches Leben zweiter Ordnung, eine körperliche Existenz, die mit jeder Faser des ideologischen Vorhangs verwoben ist, ihn imitiert, wiederholt, verschiebt und dadurch verändert.
Popps Oberflächlichkeiten widmen sich diesem authentischen Leben zweiter Ordnung, doch wo bei Prince die Rolle des Gegenübers, der Betrachter_innen vor dem Bild aufgelöst wurde, findet es sich bei Popp in dessen Faser wieder, erklärt sich selbst als Pixel. Grenzen, die bei Prince noch fest gefügt erschienen, sind im Digitalen durchlässig geworden. Die Werbung der 1980er Jahre präsentierte zwar Menschen als Objektivierungsformen von Warencharakteren, vom Marlboro Man bis zu Cameron Diaz, doch ihre Warenoberflächen perpetuierten kein Leben aus sich, sie lösten sich nur symbolisch von ihren menschlichen Trägern, nicht im Bild selbst. Die Retusche im Digitalen korrigiert nicht mehr den Makel des Lebendigen, sondern setzt sich als Konstruktion um dessen Erkennungsmuster herum zusammen. Das Abbild bleibt Bild von Jemandem, das Vorbild ein zum Objekt geronnenes menschliches Idol. Popps Blick durch die Digitalfotografie verschiebt diese Hierarchie in ihre gegenwärtige Fallhöhe: der zeitliche Ablauf von Leben und Abbild wird durchbrochen, Cameron Diaz digitale Version ist der Orientierungspunkt der realen Person. Ihr massenkulturelles Erinnerungsbild eilt ihrem materiellen Leben voraus.
Popp besiegt in gewisser Weise die Ungleichzeitigkeit von Kunst und Leben, indem er das Leben auf die Seite der Kunst schlägt und so einen ernsten Scherz inszeniert. In Popps Arbeiten ist das gelebte Leben ebenso wie die Kunst nur ein Nachtrag zur globalen Bilderwelt. Bei Popp geht es nicht um Fantasmen, sondern um die Arbeit am Realen und zwar direkt auf der digitale Haut der Dinge.
Touch up
Walter Benjamin beschrieb die Fotografie im berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischem Reproduzierbarkeit“ als Entlastung der anderen Künste, denen durch sie die Verpflichtung auf das Festhalten der Realität abgenommen wurde. Doch für das Medium selbst bedeutete dies stets eine vorauseilende Beschränkung – die Zumutung nur das Licht einzufangen und seine Abdrücke auf dem Fotopapier zurechtzurücken. Inmitten der aufkommenden Industrialisierung der europäischen Produktionen, deren Teil sie ja war, bot die Fotografie einen aktualisierten Blick an, der einen Lichtabdruck der Welt zum Ausgangspunkt ihrer zeitgenössischen Identifikation machte, während die Verpflichtung der traditionellen Künste darauf, scheinbar von dieser Mechanisierung der Produktionsmittel unberührte Subjektivierungsformeln zu erschaffen sich noch verschärfte. Mit der historischen Anwendbarkeit der Fotografie wurde die Unanwendbarkeit der aristokratischen Künste zum Qualitätsmerkmal. In der geschichtsmächtigen Vorstellung blieb die Fotografie eine Abstiegsstufe auf dem Weg hinab aus der bloß autonomen Kunst in die bloß heteronome Kultur der Massenproduktion. Dieses Bild der Künste und ihrer gesellschaftlichen Funktionen und Funktionslosigkeiten hat sich innerhalb der letzten 150 Jahre grundlegend verändert. Die Erweiterung der Medien brachte die Künste in die Rolle einer luxuriöser Ausnahme, unzeitgemäß und eigen. Doch die Eigenheit blieb eng mit der Funktionslosigkeit verbunden, in der Fotografie spalteten sich weiterhin Anwendungsfelder und Kunstgenre voneinander ab. Erst die Vermittlung konzeptueller künstlerischer Praxisformen seit den 1960er Jahren mit den massenkulturellen Techniken in ihrer stetigen Erweiterung und Vertiefung führte zu solchen Überschreitungen, wie sie zum Ausgangspunkt der Praxis von Künstler_innen wie Prince wurde, die die Künste als Unterrubrik der Massenkultur herausstellten. Doch bei Prince wird der Marlboro Man Kunst nur indem er seiner Funktion beraubt wird, keine Zigarette bleibt im Kunstwerk am Platze. Bei Popp wird die Rolle des Fotografischen als Bindeglied zwischen Funktion und Bildlichkeit von zwei Seiten aufgespannt: von derjenigen ihrer Bildinhalte ebenso wie von derjenigen ihrer Produktion. Subjekte und Objekte sind nicht mehr hierarchisch geordnet, sondern gemeinsam körperlose Haut und auch die digitale Produktion, die sie hier verschiebt, der künstlerische Akt, tritt als handwerkliche Maschinerie statt als geistige Arbeit auf.
Im Katalog exerziert Popp dementsprechend die Genres im Angesicht ihrer Digitalität systematisch durch. Landschaft, Portrait, Farbstudien, alles wird einer Farb- und Formpalette nach geordnet. Popps Paletten setzen hierbei die Oberflächlichkeit als Produktionsprinzip fort: sie bestehen aus Linealen, aus Pfennigartikeln, Plastiktieren, Tuschkästen, Millimeterpapier, aus all denjenigen kapitalistischen Gebrauchswaren, deren Gestaltung nicht ins Auge springt, da sie einem minderen Warensegment angehören. Popp demonstriert die Dehierarchisierung der digitalen Produktionsordnung. In der Ordnung der Pixel bleiben die Pfennigartikel am entschiedensten als Körper im Bild, in ihnen sind die Grundformen und –farben eingesetzt, auf denen alle weitere Ausdifferenzierung basiert.
Popp überträgt die Vorgängigkeit der digitalen Gestaltungspalette auf die Welt als Ganzes, das Bild der Eltern, deren Klassenzugehörigkeit gleich auf den ersten Seiten des Buches korrigiert wird: Sie finden sich vor einem Francis Bacon wieder, ohne selbst auf dessen gesellschaftliches Gestaltungsniveau korrigiert worden zu sein. Sie bleiben Rentner statt Sammler. In den Nacktportraits der Männer in ihren Einrichtungen hingegen werden die Körper ohne Kleidung zum sich modellierenden Teil des Bühnenbildes. In den Selbstportraits von Popps Gesicht als Dingcharakter erscheinen erneut die Pfennigartikel als formale Messlatte der Erkennbarkeit und in Popps Objektstudien, seien es die aufgetürmte Plastikminiaturen, Naturansichten oder zwischen Zwei- und Dreidimensionalität changierende Paletten, werden wieder die basalsten Dingwelten, der Tuschkasten, das Milimeterpapier, der Anspitzer, zur Legende digitaler Welten. Popp banalisiert den technischen Standard, denn seine aufgefächerten Farb- und Formlehren messen sich nicht an der Natur, sondern an dem, was uns als Natur vorliegt, der Formlehre kapitalistischer Alltäglichkeit.
Autonomie und Heteronomie, Kunst und Anwendung verlaufen bei Popp als Grenzen innerhalb des Genres, nicht zwischen ihm und anderen Künsten. In der Modefotografie, in der Popp nach seinem Fotografiestudium immer wieder arbeitete, erzeugte er den Blick ausgehend von der Kleidung. In der freien Fotografie hat Popp diesen Blick geschärft. Popps Arbeiten präsentieren keinen digitalen Betrug, keine Ästhetisierung der Realität, sondern deren Identifizierung anhand der Banalität des Digitalen. Auch darum ist in Popps Serie männlicher Nacktportraits nie der Raum bereinigt. Es bleiben Sofa-kanten, Steckdosen, Lackschäden und Furniere, sie sind Form wie die Körper selbst. Die Inszenierung stellt, egal ob hier oder in den Türmungen von Plastikobjekten, nicht die Körper als klassisches Zentrum künstlerischer Gestaltung frei, sondern ebnet sie in die Szenerie ein. Die Haut, sei es die der Steckdose oder die des Menschen, demonstriert bei Popp einen Triumph der Fläche im Raum. Alles ist Vorhang, und die Nahaufnahmen der Stoffe und Rücken handeln dann auch gar nicht mehr von deren Nachbearbeitung im digitalen Bild, sondern bleiben als Scherz des Digitalen unbearbeitet. Ihre Ansicht wird nichtsdestotrotz digital, die Bildsignatur legt sich mühelos noch auf das analog Existierende. Und trotzdem hat Popps digitalisierte Welt nichts von Kulturpessimismus, denn ebenso wie Prince begleitet Popp keine Verbitterung über den Stand der Kultur. Vielmehr schlägt er aus ihr die Freiheit der Formgebung jenseits der Natur, in der eine potentielle Dehierarchisierung aller Dinge und Menschen liegt, die visuelle Erkenntnis darüber, dass Luxusprodukt und Pfennigartikel derselben Palette folgen und sich in ihrer Realität durch nichts jenseits gesellschaftlicher Prätention unterscheiden.
Two Face
Popps fotografische Arbeiten stellen ihrem Betrachter allerorten Doppelgänger vor, Wiedergänger der Realität mit Vorbildfunktion. Die beiden Domänen der autonomen Künste: ihre eigene Zeit, die Existenz des Kunstwerks in seinem eigenen Moment – und ihr eigener Raum, sein Auftreten als individuelle Erscheinung fernab des Alltags, waren historisch immer gleichzeitig die Ausschlusskriterien der Fotografie. Popp erzeugt sie neu als digitale Präzision, die, befreit vom Lichtabdruck, dem Bild eine eigene Zeit und einen eigenen Raum bereitstellt. Für die autonomen Künste sind ihr Raum und ihre Zeit gesellschaftliche Auszeichnung, bei Popp sind sie digitaler Vorsprung gegenüber der gesellschaftlichen Isolierung dieser Künste. Popps Arbeiten fordern eine Verunsicherung des Blicks, seine Neuausrichtung auf der Höhe der Zeit. Und doch gibt es hier keinen Technikfetisch, keine Auratisierung des Mediums, sondern eine künstlerische Position in der Fotografie nach dem Ende der Analogie, eine formale Intensität der digitalen Produktionsmittel in einer sich selbst nicht mehr ähnlichen Realität.
Der Übergang der Fotografie in die Digitalität, die alle zurückliegenden analogen Praktiken als nur mehr nostalgisch in die Kunst überführt, in die Dokumentensammlung ausgedienter, funktionsloser Medien, wird von Popp als grundsätzliche Verschiebung reflektiert. Das Eintreten der Fotografie ins Bild, das Benjamin beschrieb und das heute oftmals noch den kunstgeschichtlichen Blick auf die Fotografie im Rahmen der Künste beschreibt, die Frage nach der Konkurrenz des Lichtabdrucks mit der Komposition, hat sich in der Digitalfotografie aufgelöst. In ihr ist der Vorrang der Komposition ebenso fraglos wie banal geworden, und ihre Konkurrenz ist nicht mehr die Kunst, sondern diese muss umgekehrt die digitalen Eindrücke der Wirklichkeit zum Ausgangspunkt nehmen, will sie nicht nostalgisch den Bildern vergangener Leben nachhängen. Harald Popp banalisiert diesen Zusammenhang, indem er ihn auf die billigsten Warentypen ebenso überträgt wie auf das menschliche Portrait. Popp präsentiert digitale Fotografie in der Kunst als Nachleben des Mediums nach seinem analogen Ende. Fotografie nach der Fotografie die sich an der Bildhaftigkeit der Gegenwart schult, einer Welt aus Form und Farbe. Popp holt die Welt auf eine Fläche, verpixelt einen digitalen Vorhang, dessen Immaterialität zur Signatur allen Materials wurde. Davon bleibt auch das Digitale selbst nicht verschont. Denn wo die Digitalität in ihrer Pixelabstraktion oftmals in ihrer technischen Immaterialität fetischisiert wird, geht es bei Popp um ihre konkreten Materialisierungen, um die Schnittpunkte zwischen Lebensformen und ihrem Oberflächenbild. Und so wird die Katalogform selbst zum Körper des Bildes, verschwindet ein Haarknäul im Falz, werden zwei Beine im Seitenumbruch voneinander getrennt. Alles wird Haut, alles Körper, solange auf ihm Pixel posieren.
1 Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Suhrkamp, 1969/1989, S. 25

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Text by Kerstin Stakemeier

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Faserleben
Kerstin Stakemeier
Oberflächlichkeit gilt gemeinhin als wenig erstrebenswert. Sie wird beschuldigt Mangel an Tiefgang zu sein, an einem Interesse, das sich von der Hülle löst und sich dem zuwendet, was jenseits der Oberflächen liegt. Meist wird als oberflächlich beschimpft, was kein gelebtes Leben erahnen lässt, was dem Anschein nach keine Erfahrung zurückhält und seinem Gegenüber eine andere als bloß momentane Sensation zu verunmöglichen scheint. Doch immerhin ist die Oberfläche offen zugänglich, sichtbar, angreifbar und veränderlich, und nur wo ihr Gegenüber, die ominöse Tiefe, in der Oberfläche hervortritt, ist jene mehr als nur Mythologie einer unverfälschbaren Eigenheit. Als Eintrittspunkt mag daher die Oberflächlichkeit letztlich um einiges materieller sein als der uferlose Tiefgang.
In it
Gilles Deleuze beschrieb dieses Verhältnis in der „Logik des Sinns“ 1968 anhand desjenigen Vorhangs, der zum Bühnenaufbau klassischer Ideologiekritik gehörte, installiert einzig, um zur Seite gerissen zu werden, um in einem dramatischen Akt frei zu legen, was sich hinter ihm verberge. Deleuze hingegen näherte sich dem Vorhang an, untersuchte ihn, überprüfte, warum er dort hänge, so angefeindet und doch unbeachtet, und konstatierte schließlich, dass die Ideologie nicht hinter ihm im Verborgenen liege, sondern in seinen Fasern, in seiner Installation, seiner Beleuchtung, seiner Oberfläche, der man nur ganz nah und ganz weit folgen müsse, damit diese Vorderseite auf einmal selbst zur Rückseite werde, die Oberfläche sich zum Inhalt vertiefe, und ihre Betrachter_innen in sich verstricke.1
Harald Popps fotografische Arbeiten setzen sich fest an diesen Oberflächen der Dinge, an den Mikrologien der Vorhänge und führen ein in einen Blick, in dem der Vorhang an den Dingen klebt, die sich an ihn schmiegen, um in ihn überzugehen. Popp aktualisiert die Frage nach dem Verhältnis von Ideologie und Wahrheit, von Trugbild und Existenz, im seriellen Einzelfall der digitalen Bildwelt, die uns umgibt. Er wiederholt sie nicht, um sie bloß zu stellen, sondern nimmt sich ihrer Mechanismen an, um aus ihnen einen Blick aufzuspannen, in dem die Oberflächlichkeit das Maß aller Tiefe ist. Popp operiert in einer zweiten Natur, die sich aufs Bild-Sein zurückgezogen hat, und begegnet ihr doch ohne moralische Empörung, eher schon als Zoologe dessen, was sich heute als natürlich gebiert. Popps fotografischer Blick richtet sich dabei an der Digitalität unseres eigenen Blicks aus. Die Kulturalisierung, die unserem Leben eine Form gibt, ist keine nachträgliche Arbeit am authentischen Ich, sondern eine Zivilisierung, die selbst unumgänglicher Ausgangspunkt jeder Individualität ist. Die Natur, die uns im Bild begegnet, ist heute immer bereits digital, der Vorhang nach skalierten Farbspektren aus Pixeln gewebt und unser eigener Hautton schön oder unschön im Verhältnis zu seiner Abbildbarkeit. Und trotz all dem ist dies keine Aufzeichnung eines Verlustes, keine Trauerarbeit an einer eingebildeten Echtheit, sondern vielmehr die Trennung eines Mediums vom Vermittelten: Harald Popps Fotografien registrieren die Ablösung des digitalen Bildes vom Abgebildeten und entscheiden sich für das Bild. Es ist die Ähnlichkeit des Abgebildeten zum Bild, die Popp aufsucht und stetig verschärft.
So over
Popp arbeitet in den Fasern visueller Kulturalisierung und eröffnet dabei das Fotografische als körperloses Handwerk statt als vermittelnde Maschinerie. Die in der Kunst weiterhin fundamentale fotografische Suche nach der originären Authentizität des eigenen Mediums, die auch im Gegensatz zwischen analogem Lichteinfall und digitalem Schein stets auf die künstlerische Innovation pocht, löst Popp historisch statt kanonisch. Die Innovation des Digitalen ist technisch und geht der Kunst voraus. Gelebt und gegenwärtig ist so vor allem Anderen das Digitale, das der Kunst Lebensähnlichkeit verspricht. Es bestimmt den Alltag als Maßstab unserer Ansichten, während das Analoge ihm nachgeordnet einen Blick in die Erinnerung eröffnet. Popp folgt statt der künstlerischen Innovation der Lebensähnlichkeit seines Mediums und treibt sie ins Extrem: ein Leben aus Form und Farbe, eine fortgesetzte Palette.
Die analogen fotografischen Bilder sind schon 1980 bei Roland Barthes2, lange vor dem Erscheinen des Digitalen, eine Signatur des Todes, Erinnerungsbilder eines vergangenen Lebens. Die analoge Fotografie zeichnet sich durch ihren dokumentarischen3, archivarischen4, immer jedoch das Leben abschneidenden5 Charakter aus und markiert damit eine unverrückbare Ungleichzeitigkeit. Das Vergangene gewinnt ein Eigenleben, eine nachträgliche Authentizität, in der die Gegenwart sie wiedererkennt - Ihre Oberflächen, deren Lichtabdruck hier aufgezeichnet ist, gewinnen an Tiefe, eben dadurch, dass sie abgelebt sind. Die Fotograf_innen der Pictures-Generation6 begegneten diesem Phänomen mit Wiederholungen, ihre Re-Inszenierungen massenkultureller Idole und Alltäglichkeiten übertrugen das Auratische auf Banalitäten, weigerten sich in gewissem Sinne neue Bilder zu erzeugen, sondern begaben sich an die Ordnung der bereits so vielfältig kursierenden. Doch dieser Versuch, die Differenz zwischen künstlerischer Produktion und lebendiger Oberfläche zu überbrücken und der Kunst durch die Wiederholung massenkultureller Ansichten Gegenwärtigkeit zukommen zu lassen, richtete sich vor allem auf ihr Gegenüber: die Massenkultur. Sie wurde in diesen Werken ungleichzeitig, erschien als Wiederholungsschema, als ständiges Erinnerungsbild. Darin führten Künstler_innen wie Richard Prince7 genau diejenige Umkehrung ein, die bei Harald Popp in digitalisierter Form, als Gleichzeitigkeit, zurückkehrt: die Vorgängigkeit der kulturellen Prägung vor dem individuellen Leben, der Überhang der Massenkultur im Subjekt. Auch bei Prince tauchte dieser Zusammenhang nicht als moralische Verfehlung auf, als Trauer um vergangene Authentizitäten. Viel eher präsentierte er ein authentisches Leben zweiter Ordnung, eine körperliche Existenz, die mit jeder Faser des ideologischen Vorhangs verwoben ist, ihn imitiert, wiederholt, verschiebt und dadurch verändert.
Popps Oberflächlichkeiten widmen sich diesem authentischen Leben zweiter Ordnung, doch wo bei Prince die Rolle des Gegenübers, der Betrachter_innen vor dem Bild aufgelöst wurde, findet es sich bei Popp in dessen Faser wieder, erklärt sich selbst als Pixel. Grenzen, die bei Prince noch fest gefügt erschienen, sind im Digitalen durchlässig geworden. Die Werbung der 1980er Jahre präsentierte zwar Menschen als Objektivierungsformen von Warencharakteren, vom Marlboro Man bis zu Cameron Diaz, doch ihre Warenoberflächen perpetuierten kein Leben aus sich, sie lösten sich nur symbolisch von ihren menschlichen Trägern, nicht im Bild selbst. Die Retusche im Digitalen korrigiert nicht mehr den Makel des Lebendigen, sondern setzt sich als Konstruktion um dessen Erkennungsmuster herum zusammen. Das Abbild bleibt Bild von Jemandem, das Vorbild ein zum Objekt geronnenes menschliches Idol. Popps Blick durch die Digitalfotografie verschiebt diese Hierarchie in ihre gegenwärtige Fallhöhe: der zeitliche Ablauf von Leben und Abbild wird durchbrochen, Cameron Diaz digitale Version ist der Orientierungspunkt der realen Person. Ihr massenkulturelles Erinnerungsbild eilt ihrem materiellen Leben voraus.
Popp besiegt in gewisser Weise die Ungleichzeitigkeit von Kunst und Leben, indem er das Leben auf die Seite der Kunst schlägt und so einen ernsten Scherz inszeniert. In Popps Arbeiten ist das gelebte Leben ebenso wie die Kunst nur ein Nachtrag zur globalen Bilderwelt. Bei Popp geht es nicht um Fantasmen, sondern um die Arbeit am Realen und zwar direkt auf der digitale Haut der Dinge.
Touch up
Walter Benjamin beschrieb die Fotografie im berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischem Reproduzierbarkeit“ als Entlastung der anderen Künste, denen durch sie die Verpflichtung auf das Festhalten der Realität abgenommen wurde. Doch für das Medium selbst bedeutete dies stets eine vorauseilende Beschränkung – die Zumutung nur das Licht einzufangen und seine Abdrücke auf dem Fotopapier zurechtzurücken. Inmitten der aufkommenden Industrialisierung der europäischen Produktionen, deren Teil sie ja war, bot die Fotografie einen aktualisierten Blick an, der einen Lichtabdruck der Welt zum Ausgangspunkt ihrer zeitgenössischen Identifikation machte, während die Verpflichtung der traditionellen Künste darauf, scheinbar von dieser Mechanisierung der Produktionsmittel unberührte Subjektivierungsformeln zu erschaffen sich noch verschärfte. Mit der historischen Anwendbarkeit der Fotografie wurde die Unanwendbarkeit der aristokratischen Künste zum Qualitätsmerkmal. In der geschichtsmächtigen Vorstellung blieb die Fotografie eine Abstiegsstufe auf dem Weg hinab aus der bloß autonomen Kunst in die bloß heteronome Kultur der Massenproduktion. Dieses Bild der Künste und ihrer gesellschaftlichen Funktionen und Funktionslosigkeiten hat sich innerhalb der letzten 150 Jahre grundlegend verändert. Die Erweiterung der Medien brachte die Künste in die Rolle einer luxuriöser Ausnahme, unzeitgemäß und eigen. Doch die Eigenheit blieb eng mit der Funktionslosigkeit verbunden, in der Fotografie spalteten sich weiterhin Anwendungsfelder und Kunstgenre voneinander ab. Erst die Vermittlung konzeptueller künstlerischer Praxisformen seit den 1960er Jahren mit den massenkulturellen Techniken in ihrer stetigen Erweiterung und Vertiefung führte zu solchen Überschreitungen, wie sie zum Ausgangspunkt der Praxis von Künstler_innen wie Prince wurde, die die Künste als Unterrubrik der Massenkultur herausstellten. Doch bei Prince wird der Marlboro Man Kunst nur indem er seiner Funktion beraubt wird, keine Zigarette bleibt im Kunstwerk am Platze. Bei Popp wird die Rolle des Fotografischen als Bindeglied zwischen Funktion und Bildlichkeit von zwei Seiten aufgespannt: von derjenigen ihrer Bildinhalte ebenso wie von derjenigen ihrer Produktion. Subjekte und Objekte sind nicht mehr hierarchisch geordnet, sondern gemeinsam körperlose Haut und auch die digitale Produktion, die sie hier verschiebt, der künstlerische Akt, tritt als handwerkliche Maschinerie statt als geistige Arbeit auf.
Im Katalog exerziert Popp dementsprechend die Genres im Angesicht ihrer Digitalität systematisch durch. Landschaft, Portrait, Farbstudien, alles wird einer Farb- und Formpalette nach geordnet. Popps Paletten setzen hierbei die Oberflächlichkeit als Produktionsprinzip fort: sie bestehen aus Linealen, aus Pfennigartikeln, Plastiktieren, Tuschkästen, Millimeterpapier, aus all denjenigen kapitalistischen Gebrauchswaren, deren Gestaltung nicht ins Auge springt, da sie einem minderen Warensegment angehören. Popp demonstriert die Dehierarchisierung der digitalen Produktionsordnung. In der Ordnung der Pixel bleiben die Pfennigartikel am entschiedensten als Körper im Bild, in ihnen sind die Grundformen und –farben eingesetzt, auf denen alle weitere Ausdifferenzierung basiert.
Popp überträgt die Vorgängigkeit der digitalen Gestaltungspalette auf die Welt als Ganzes, das Bild der Eltern, deren Klassenzugehörigkeit gleich auf den ersten Seiten des Buches korrigiert wird: Sie finden sich vor einem Francis Bacon wieder, ohne selbst auf dessen gesellschaftliches Gestaltungsniveau korrigiert worden zu sein. Sie bleiben Rentner statt Sammler. In den Nacktportraits der Männer in ihren Einrichtungen hingegen werden die Körper ohne Kleidung zum sich modellierenden Teil des Bühnenbildes. In den Selbstportraits von Popps Gesicht als Dingcharakter erscheinen erneut die Pfennigartikel als formale Messlatte der Erkennbarkeit und in Popps Objektstudien, seien es die aufgetürmte Plastikminiaturen, Naturansichten oder zwischen Zwei- und Dreidimensionalität changierende Paletten, werden wieder die basalsten Dingwelten, der Tuschkasten, das Milimeterpapier, der Anspitzer, zur Legende digitaler Welten. Popp banalisiert den technischen Standard, denn seine aufgefächerten Farb- und Formlehren messen sich nicht an der Natur, sondern an dem, was uns als Natur vorliegt, der Formlehre kapitalistischer Alltäglichkeit.
Autonomie und Heteronomie, Kunst und Anwendung verlaufen bei Popp als Grenzen innerhalb des Genres, nicht zwischen ihm und anderen Künsten. In der Modefotografie, in der Popp nach seinem Fotografiestudium immer wieder arbeitete, erzeugte er den Blick ausgehend von der Kleidung. In der freien Fotografie hat Popp diesen Blick geschärft. Popps Arbeiten präsentieren keinen digitalen Betrug, keine Ästhetisierung der Realität, sondern deren Identifizierung anhand der Banalität des Digitalen. Auch darum ist in Popps Serie männlicher Nacktportraits nie der Raum bereinigt. Es bleiben Sofa-kanten, Steckdosen, Lackschäden und Furniere, sie sind Form wie die Körper selbst. Die Inszenierung stellt, egal ob hier oder in den Türmungen von Plastikobjekten, nicht die Körper als klassisches Zentrum künstlerischer Gestaltung frei, sondern ebnet sie in die Szenerie ein. Die Haut, sei es die der Steckdose oder die des Menschen, demonstriert bei Popp einen Triumph der Fläche im Raum. Alles ist Vorhang, und die Nahaufnahmen der Stoffe und Rücken handeln dann auch gar nicht mehr von deren Nachbearbeitung im digitalen Bild, sondern bleiben als Scherz des Digitalen unbearbeitet. Ihre Ansicht wird nichtsdestotrotz digital, die Bildsignatur legt sich mühelos noch auf das analog Existierende. Und trotzdem hat Popps digitalisierte Welt nichts von Kulturpessimismus, denn ebenso wie Prince begleitet Popp keine Verbitterung über den Stand der Kultur. Vielmehr schlägt er aus ihr die Freiheit der Formgebung jenseits der Natur, in der eine potentielle Dehierarchisierung aller Dinge und Menschen liegt, die visuelle Erkenntnis darüber, dass Luxusprodukt und Pfennigartikel derselben Palette folgen und sich in ihrer Realität durch nichts jenseits gesellschaftlicher Prätention unterscheiden.
Two Face
Popps fotografische Arbeiten stellen ihrem Betrachter allerorten Doppelgänger vor, Wiedergänger der Realität mit Vorbildfunktion. Die beiden Domänen der autonomen Künste: ihre eigene Zeit, die Existenz des Kunstwerks in seinem eigenen Moment – und ihr eigener Raum, sein Auftreten als individuelle Erscheinung fernab des Alltags, waren historisch immer gleichzeitig die Ausschlusskriterien der Fotografie. Popp erzeugt sie neu als digitale Präzision, die, befreit vom Lichtabdruck, dem Bild eine eigene Zeit und einen eigenen Raum bereitstellt. Für die autonomen Künste sind ihr Raum und ihre Zeit gesellschaftliche Auszeichnung, bei Popp sind sie digitaler Vorsprung gegenüber der gesellschaftlichen Isolierung dieser Künste. Popps Arbeiten fordern eine Verunsicherung des Blicks, seine Neuausrichtung auf der Höhe der Zeit. Und doch gibt es hier keinen Technikfetisch, keine Auratisierung des Mediums, sondern eine künstlerische Position in der Fotografie nach dem Ende der Analogie, eine formale Intensität der digitalen Produktionsmittel in einer sich selbst nicht mehr ähnlichen Realität.
Der Übergang der Fotografie in die Digitalität, die alle zurückliegenden analogen Praktiken als nur mehr nostalgisch in die Kunst überführt, in die Dokumentensammlung ausgedienter, funktionsloser Medien, wird von Popp als grundsätzliche Verschiebung reflektiert. Das Eintreten der Fotografie ins Bild, das Benjamin beschrieb und das heute oftmals noch den kunstgeschichtlichen Blick auf die Fotografie im Rahmen der Künste beschreibt, die Frage nach der Konkurrenz des Lichtabdrucks mit der Komposition, hat sich in der Digitalfotografie aufgelöst. In ihr ist der Vorrang der Komposition ebenso fraglos wie banal geworden, und ihre Konkurrenz ist nicht mehr die Kunst, sondern diese muss umgekehrt die digitalen Eindrücke der Wirklichkeit zum Ausgangspunkt nehmen, will sie nicht nostalgisch den Bildern vergangener Leben nachhängen. Harald Popp banalisiert diesen Zusammenhang, indem er ihn auf die billigsten Warentypen ebenso überträgt wie auf das menschliche Portrait. Popp präsentiert digitale Fotografie in der Kunst als Nachleben des Mediums nach seinem analogen Ende. Fotografie nach der Fotografie die sich an der Bildhaftigkeit der Gegenwart schult, einer Welt aus Form und Farbe. Popp holt die Welt auf eine Fläche, verpixelt einen digitalen Vorhang, dessen Immaterialität zur Signatur allen Materials wurde. Davon bleibt auch das Digitale selbst nicht verschont. Denn wo die Digitalität in ihrer Pixelabstraktion oftmals in ihrer technischen Immaterialität fetischisiert wird, geht es bei Popp um ihre konkreten Materialisierungen, um die Schnittpunkte zwischen Lebensformen und ihrem Oberflächenbild. Und so wird die Katalogform selbst zum Körper des Bildes, verschwindet ein Haarknäul im Falz, werden zwei Beine im Seitenumbruch voneinander getrennt. Alles wird Haut, alles Körper, solange auf ihm Pixel posieren.
1 Gilles Deleuze, Logik des Sinns, Suhrkamp, 1969/1989, S. 25